Naturheilpraxis - Ausgabe 05/2001
Gentechnologie und „Novel Food“
von Norbert Bauer

Seit undenklichen Zeiten entwickelt der Mensch immer wieder neue Lebensmittel, sei es durch einfache Auswahl, Züchtung oder besondere Verarbeitungsmethoden. Auch biotechnologische Verfahren werden schon seit rund zehntausend Jahren genutzt, um schmackhafte Genuss- und Nahrungsmittel wie Bier, Wein, Brot, Käse, Joghurt und vieles mehr zu gewinnen.
Anfang der siebziger Jahre gelang die erste Genmanipulation bei Mikroorganismen. Damit schien ein uralter Menschheitstraum in Erfüllung zu gehen: Die schrankenlose Beherrschbarkeit der Grundlage allen Lebens, die Beherrschbarkeit unserer Gene. Oder wie ein Schweizer Professor es ausdrückte: Sehen Sie, es kann dieser Fliege hier auf der Glasscheibe ja egal sein, ob sie ihre Gene von mir oder von Gott hat.
Die ersten gentechnisch veränderten Feldfrüchte und deren Produkte sind bereits auf dem Markt. Viele weitere kommen in den nächsten Jahren dazu. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich ein neuer Begriff in unseren Alltag eingebürgert: neuartige Lebensmittel, neudeutsch „Novel Food“ und abwertend „Franken(stein)food“ genannt. Der Gesetzgeber versteht darunter alle Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die „bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden“. Gemeinhin werden die neuartigen Lebensmittel mit gentechnisch veränderten („transgenen“) Lebensmitteln gleichgesetzt. Aufgrund der aktuellen Entwicklung und Diskussion ist diese Gleichsetzung zwar nachvollziehbar, aber dennoch falsch. Der Begriff neuartige Lebensmittel umfasst wesentlich mehr:
  1. Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die genetisch veränderte Organismen (GVO) enthalten oder aus solchen bestehen, z. B. transgene Tomaten oder Joghurt mit gentechnisch veränderten Lebendkulturen.
  2. Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus genetisch veränderten Organismen hergestellt wurden, solche jedoch nicht mehr enthalten, z. B. Püree aus transgenen Tomaten oder Öl, das aus gentechnisch verändertem Raps gewonnen wurde.
  3. Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten mit neuer oder gezielt modifizierter primärer Molekularstruktur, z. B. Fettersatzstoffe.
  4. Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Mikroorganismen, Pilzen oder aus Algen bestehen oder aus diesen isoliert worden sind, z. B. Mykoproteine.
  5. Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind, und aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten, außer solchen, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden, beispielsweise Käferlarven.
  6. Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, bei deren Herstellung ein nicht übliches Verfahren angewandt worden ist und bei denen dieses Verfahren eine bedeutende Veränderung ihrer Zusammensetzung oder der Struktur der Lebensmittel oder der Lebensmittelzutaten bewirkt hat, was sich auf ihren Nährwert, ihren Stoffwechsel oder auf die Menge unerwünschter Stoffe im Lebensmittel auswirkt. Als Beispiel lassen sich Hochspannungsimpulse zur Konservierung anführen.
Die Entwicklung der letzten Jahre macht die verkürzte Gleichsetzung von neuartigen mit genmanipulierten Lebensmitteln verständlich. Bereits vor der europäischen Markteinführung der transgenen Sojabohne „Roundup-Ready-Soybean“, im Herbst 1996, war bekannt, dass immer mehr Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme gentechnisch hergestellt werden, und dass auf diesem Wege die Gentechnik still und leise Einzug in die Lebensmittelregale gehalten hatte. Zwar haben die immer stärker und lauter werdenden Proteste von Umweltverbänden und Verbrauchern den ungebremsten Siegeszug der ersten gentechnischen Lebensmittelgeneration, die dem Verbraucher keinerlei Vorteile, sondern höchstens Risiken bietet, verhindert. Dennoch stehen viele Kunden beim täglichen Einkauf vor der Frage „War bei der Herstellung die Gentechnik im Spiel oder nicht?“ Trotz jahrelanger Kämpfe, Lobbyarbeit, Diskussionen und kleiner Erfolge gibt es bis heute keine nahtlose, eindeutige und leicht erkennbare Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Der Verbraucher – angeblich ja „König Kunde“ – wird nicht nur schlecht bzw. gar nicht informiert, sondern er wird auch seiner Entscheidungsfreiheit beraubt. Die Gründe, weswegen Menschen keine genmanipulierten Lebensmittel wollen, sind vielschichtig und sehr individuell:
  • Gesundheitliche Aspekte: Beispielsweise Sorge vor Allergien;
  • Ökologische Überlegungen: Welche kurz- und langfristigen Folgen haben transgene Pflanzen für unsere Umwelt?
  • Agrarpolitische Gesichtspunkte: Bringt die Gentechnik den nächsten großen Rationalisierungsschub in der Landwirtschaft?
  • Ökonomische Fragestellungen: Fördert die Gentechnik den Trend zu wenigen weltweit agierenden – transnationalen – Lebensmittelproduzenten, die sich den Markt teilen werden und damit dem Verbraucher keine wirkliche Wahl mehr lassen?
  • Auch ethische, ja sogar religiöse Gründe spielen eine wichtige, nicht zu unterschätzende Rolle.

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